Mittwoch, 26. Oktober 2011

Ich bin dann mal weg.

Denn sie flüchten. Sie flüchten aus sich selbst; aus ihren Leben und ihrem Bewusstsein. Der Mensch flüchtet öfter am Tag, als er lügt - und das muss etwas heißen.
Und ich flüchte auch: am Morgen, beim Essen, in der Musik, sogar jetzt. Doch am weitesten flüchte ich in der Nacht. Denn die Nacht bietet mir so wenig - und ich fliehe - und plötzlich ist da so viel.
Ich sehe an die schwarze Decke, vielleicht in den schwarzen Himmel - mit Sternen, Millionen, und noch mehr und Wolken, schleierhaft und manche tonnenschwere Wolkenschlösser schweben mir um den Verstand. Wenn das Fenster geschlossen ist, stellt sich Stille ein. Meinem Atem lausche ich - und er drückt auf meine Brust, beklemmend, sodass ich mein Fenster öffne - auch sei es noch so eisig dort draußen, wo es niemals still ist. Und dann kriechen Geräusche durch diesen Spalt hinein und befreien mich von drückender Stille. Und wie ich mich durch Lärm befreie, flüchte ich wieder durch den Fensterspalt nach draußen. Was habe ich denn in der Nacht zum Wahrnehmen? Dunkelheit und Stille? Augen und Ohren wollen nicht schlafen und so flüchte ich in Gedanken an andere Orte, wo es etwas zum Wahrnehmen gab oder geben würde. Obwohl mein Körper immer noch im Bett liegt, strebt mein Kopf in den Himmel hinaus. Schade, dass ich die Gegenwart nicht ertragen kann. Geht es dir anders? Daran zweifle ich. (Du darfst mich vom Gegenteil überzeugen.)
Am Morgen fliehst du in die Zukunft, vielleicht schon an einen bestimmten Zeitpunkt des Tages, der noch ungewiss, und somit aufregend in deinem Hinterkopf haftet. Beim Essen scheinst du zwar jeden Bissen zu schmecken, aber bewusst ist dir nur jeder dritte. Du läufst oder fährst durch die Straßen und fliehst deinem Körper voraus; ein Baum oder eine Person noch meterweit entfernt, doch in Gedanken bist du schon bei ihr, und achtest nicht mehr auf dich selbst. Vielleicht hörst du Musik - in anderen Gefühlswelten ist es wahrscheinlich viel schöner, als in deiner jetzigen - und so stöberst du immer weiter nach dem nächsten Fluchtweg.

Wir fliehen, weil unsere Gegenwart uns langweilig wird. Wir suchen nach Aufregung und Spannung, und finden diese in (noch) nicht realen Momenten. Wie überrascht wir wohl wirklich wären, wenn wir erfahren würden, wie wenige Minuten wir am Tag wirklich in unserem eigenen Körper leben?

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