Sonntag, 21. Juni 2015

Mit den Flüssen.

Mit den Flüssen strömt die Liebe,
jeder trägt sie in sich fort,
wunderbar zum Himmel wogend,
fließt sie wohl, von Ort zu Ort.

Scheinbar flüchtig mögen sich
alle Wasser Wege teilen -
Liebe eint, woher gekommen,
und auch, wohin die Täler eilen.

Und auch, wenn bald am nächsten Morgen,
die Reisenden zwei Wege gehen,
wird der Strom in sich den ander'n
bis zum Ende fließen sehen.

Alle Blicke von den Ufern,
denken still: sie sehen es,
doch nur die Flüsse wissen wohl:
Liebe ist 'was Strömendes.

Dienstag, 16. Juni 2015

Ohne ein Wort.

Ohne ein Wort. Nur gefrorene Lippen, eine erstarrte Stimme, ein schwerer Nacken. Er versteckte seine Hände in seinen Hosentaschen, weil er bemerkte, dass sie zitterten. Unter seinen Lidern starb das Unsterbliche. Der letzte Tropfen seines Meeres versank im salzverkrusteten Boden, und die Sonne drohte über seinem Gemüt nie wieder aufzugehen.
-Wohin?-
Vergeblich versuchte er seine Füße vom Eis zu lösen, welches deren Blut hatte gefrieren lassen. Barfuß im Winter. Wieso auch? - mochte er sich vielleicht denken, obwohl er die Antwort schon wusste. Er wollte die Kälte spüren und war dabei auf eisige Scherben getreten. Gesehen hatte er sie nicht. Immer, wenn er spüren wollte, pflegte er die Augen zu schließen. Der erste und letzte Tag der Eiszeit - den wollte er nicht mit Sehen verschwenden.
Und so verlassen stand er da, mit Furcht vor dem Schmerz, die Füße vom Bluteis mitsamt der Haut seiner Sohlen zu befreien. Der Wind schlug seine Hose schwer gegen die Schienbeine; das vom Schweiß vergilbte Hemd schonte ihn nicht vor dem Unbarmherzigen. Er hatte sich bereits durch jede einzelne Faser gewunden und verzehrte jeglichen Hauch von Körperwärme.
Gänsehaut. Die war schon lang verflogen. Seine Haut hatte sich der Umarmung der Kälte ergeben und sich tief entspannt, fühlte sich an wie eine Hülle aus zähfließendem Glas.
Doch da - irgendwo, in der Mitte seiner Brust - da strahlte das kleinste Licht, dem er je begegnet war. So klein. Es kämpfte. Aber mit Leichtigkeit. Es loderte wie ein grell züngelnder Funken, der mehr und mehr Luft verlangte, sie einatmete, verdaute und sich mit neuer Kraft, allmählich, trotz dieser kargen Bedingungen, auszudehnen vermochte.
Oh, wie gern hätte er der Euphorie mit einem Lächeln nachgegeben, wie gern hätte er die starre Schicht auf seinen Lidern abgeschüttelt, die schneidenden Kristalle mit erhobener Stimme aus seiner Kehle gefegt. Seine zitternde Rechte hob sich zu seinem Gesicht, berührte nur wage sein Kinn, wanderte über die eisigen Lippen, die schmerzende Nase, die geschlossenen Lider über seine starren Augenbrauen bis hin zu seinem Haar. In aller Ruhe fuhr er hindurch, ließ dabei die toten Fäden bersten und holte neue, frische Luft für das wachsende Feuer zwischen seinen Lungen.
Bis sein Haupt in kahlem Weiß erstrahlte, zerrüttete er das schwarze Eis und schüttelte es sich zaghaft von den Schultern. Der Unbarmherzige trug die Splitter mit sich in die blassen Weiten.
-Wohin?-
Ein letztes Mal fragte er, ein letztes Mal zauderte er. Dann schlug er die Augen auf, fetzte seine Sohlen vom Eis und hinterließ hellrote Spuren darauf.
Ohne ein Wort.

Dienstag, 9. Juni 2015

Tantalus.

"Wieso lächelst du, Tantalus?", fragte sie und stoppte.
Sie sah hinunter auf seine trockenen Lippen und seltsamerweise himmelwärts gehobenen Mundwinkel. Dann zurück in seine silbrig glänzenden Augen.
'Wieso?', echoten ihre Gedanken und schienen ihr fast zwischen den Zähnen hindurch zu strömen.
"Weißt du", fing er nicht minder lächelnd an, "Frevler wie ich scheinen so etwas zu verdienen."
Er atmete tief durch und senkte kurz den Blick. "Aber je länger du leidest...desto weniger leidest du."
"Aber es wird nicht aufhören."
"Nein wird es nicht", leise kicherte er und sog ihren Duft ein. "Irgendwie ist das wahrscheinlich so eine masochistische Ader von mir. Irgendwo vor dem Ende musst du nunmal anfangen, den Schmerz zu genießen."
Mit der süßesten Bitterkeit, die seine Augen zu schmecken vermochten, lächelte sie in ihrem Mitleid zurück.
"So kannst du nicht leben.", flüsterte sie.
"Ich lebe nicht.", flüsterte er zurück.
Wie ein Fallender, der den Aufprall erwartet, erwarteten seine Lippen sich sehnsüchtig öffnend bald die ihren zu spüren. Doch der Aufprall ereilte ihn nicht. Und er genoss es.
Noch eine ihrer Tränen mehrte den Ozean, auf dessen Oberfläche sie vor ihm kniete. Das Schwarz der Nacht umhüllte den Silberglanz seiner Augen wie ein sternenloser Mantel, doch er warf ihr ihn entgegen. Einen Millimeter und seine Nase würde ihre küssen, so wie die Eskimos es zum Gruß tun. Doch wenn er Eines wusste, dann dies: Wer versucht, verliert.
Ihre Stimme war so schwindend gering. "Trink, Tantalus."